In der neusten Ausgabe (Herbst 2019) der Zeitschrift "Semaphor" ist auf Seite 9 eine Foto aus Vevey publiziert, die einen abfahrenden Zug der CEV zeigt. Als Ausfahrsignal ist ein Semaphor nach SBB-Massstab aufgestellt, das für die Schmalspurbahn zu gross wirkt.  

Ausfahrsignale gab es früher bei Schmalspurbahnen kaum. Es ist erstaunlich, dass gerade bei der CEV ein solches vorhanden war. Ich nehme deshalb diese Fotos zur Veranlassung, meine Unterlagen zu Vevey zu veröffentlichen. Nebst den unpassenden Flügelsignalen der CEV finden sich in Vevey weitere interessante Besonderheiten.

 

Alle nicht namentlich gezeichneten Fotos und Dokumente stammen aus der Sammlung O. Wileczelek. Herzlichen Dank für die tollen Unterlagen! 

 

Gleisplan vom 1. Dezember 1914

 

Besonderheiten des obigen Plans von West nach Ost:

  • Als Einfahrsignal dient Seite Rivaz ein einflügliger Semaphor, Seite Chexbres eine Klappscheibe. Beim  Semaphor B wurde ein zweiter Flügel optional angedeutet. Das Vorsignal ist mit Ba ( für "avancé") statt dem später üblichen * gekennzeichnet
  • Die Weichen wurden ohne Lücken von 1 bis 48 durchnumeriert. Seite Chexbres wurde offenbar nachträglich eine Weiche eingebaut. Da die Nummer 1 schon durch eine unbedeutende Handweiche in der Güteranlage belegt war, wurde die neue Weiche mit 1a bezeichnet
  • Diese Weiche 1a ist eine Schutzweiche, die in ein Sandgleis führt. Grund ist das starke Gefälle der Linie von Puidoux-Chexbres. Mit 39.7 o/oo gilt sie als die steilste Strecke der SBB
  • Absolut unüblich für die Schweiz ist das Überholgleis 12 ("voie de dépassement") in Form eines Stumpengleis. Zu überholende Züge konnten nicht direkt einfahren, sondern mussten rangiermässig in das Gleis vorrücken bzw. zurückdrücken. Der Grund dürfte sein, dass das eigentliche Überholgleis II mit ca. 250m Länge sehr kurz war. Gleis 12 ist bis Weiche 17 immerhin ca. 400m lang, bis Weiche 26 sogar  570m. Nicht klar ist mir, wieso das Gleis nicht Seite Rivaz an die Hauptgleise angeschlossen wurde, so dass direkte Ein - und Ausfahrten möglich gewesen wären. Wahrscheinlich wäre das zu teuer geworden, man hätte ja auch ein weiteres Stellwerk errichten und besetzten müssen
  • In der Güteranlage gibt es die üblichen Drehkräne (2t bzw. 8t), einen Brückenkran (30t) sowie eine Gleiswaage. In Gleis 22 sind zwei Anschlussgleise mittels Drehscheiben angeschlossen.
  • Die Rangiersignale und die Hauptsignalen wurden durchgehend mit Buchstaben bezeichnet. Auch hier wurden keine Lücken gelassen, so dass es zwei Rangiersignale D gibt, D1 und D2. Ein Signal D3 wurde optional eingezeichnet
  • Zwischen Weiche 29 und 31 gibt es eine weitere Drehscheibe, welche mit  "Plaque des Ateliers" bezeichnet ist. Das angeschlossene Industriegleis führte zu den "Ateliers de construction mécaniques de Vevey (ACMV)", welche unter anderem auch Eisenbahnfahrzeuge produzierte. Noch heute (2019) verkehrt in Bern eine Tramserie, die als "Vevey-Tram" bekannt ist. Link  Das Werk in Vevey wurde inzwischen geschlossen, der zweite Produktionsstandort in Villeneuve gehört nun zu Bombardier
  • Von und nach Chexbres kann nur in Gleis IV ein - und ausgefahren werden. Aus diesem Gleis sind auch Fahrstrassen nach Rivaz und Clarens möglich. Somit konnte direkt von Chexbres - Vevey - Clarens oder Chexbres - Vevey (Fahrtrichtungswechsel) - Rivaz gefahren werden. Hingegen gibt es keine Fahrstrasse b IV aus Rivaz nach Gleis IV, obwohl die Weichenverbindungen dazu vorhanden sind. Auch erlaubte die Weichentopographie keine durchgehenden  Fahrten  Clarens - Vevey - Chexbres. Allerdings ist kaum anzunehmen, dass es für solche Fahrten grossen Bedarf gab. Die eher unbedeutende Strecke Puidoux-Chexbres - Vevey wird bis heute nur im Stundentakt befahren. Zusätzlich gibt es weinge Güterzüge, die die Strecke als Abkürzung von/nach dem Rhonetal benützen, wobei wegen der enormen Steigung eher talwärts gefahren wird 
  • Zwischen den durchgehenden Hauptgleisen I und III liegt das Gleis II, in welches aus Richtung Rivaz und Clarens ein - und ausgefahren werden konnte. Ich vermute, dass es angesichts seiner beschränkten Länge nicht nur als Überholgleis diente, sondern auch zum Bereitstellen von abzuführenden Güterwagen.  Gleis II wurde vor einigen Jahren ausgebaut
  • Geleise 8 und 9 führen zu einer weiteren Drehscheibe. Daran angeschlossen ist das Anschlussgleis der Firma Nestlé. Auch dieses Gleis ist heute Geschichte. Hingegen befindet sich bis heute der Konzernsitz von Nestlé, dem weltgrössten Nahrungsmittelkonzern in Vevey
  • Das Anschlussgleis Nestlé kreuzt die Gleise der Schmalspurbahn nach Châtel-St-Denis. Zum Schutz sind zwei Sperrschuhe sb I und sb II (sb = "sabot") montiert. Die Semaphore K und L können nur geöffnet werden, wenn die Sperrschuhe aufliegen
  • Gedrängte Gleisanlage der Schmalspurbahn. Die Ausfahrt liegt in einer engen Kurve, daran hat sich bis heute nichts geändert
  • Gleis 5 ist ein Dreischienengleis. Weichen 32a und 34 sind Schmalspurweichen, Weiche 32b ist die Abzweigung der Normalspur nach Gleis 8 und wie Weiche 31 am Stellwerk 1 angeschlossen
  • Verwinkelte Gleisanlage mit Dreischienengleisen und den entsprechenden Weichen im Bereich des Güterschuppens. Auch einen Umladekran Normalspur/Schmalspur gibt es
  • Weiche 41 führt zu einer Drehscheibe, an die ein "Dépôt" angeschlossen ist, wahrscheinlich für die Lok der Strecke Vevey - Puidoux-Chexbres. Die Drehscheibe ist ein Stück in den Hang hineingebaut und ist heute (2019) noch vorhanden. Auf dem Google-Satellitenbild ist sie gut erkennbar.

 

 

Verschlussplan Stellwerk 1 vom 1. Dezember 1914

 

Verschlussplan Befehlsstellwerk vom 1. Dezember 1914

 

Verschlussplan Stellwerk 2 und Legende vom 1. Dezember 1914

 

Stellwerkbeschreibung und Zeichnungen der Stellwerke vom 1. Dezember 1914

 

Bemerkungen zum vorangehenden Dokument:

  • Es ist nicht eine eigene Dienstvorschrift, sondern eine Anlage zu den generellen Vorschriften der Stellwerke Bruchsal oder Jüdel
  • Die Züge der Schmalspurbahn aus Chamby bzw. Châtel-St. Denis werden schlicht als "trains électriques" bezeichnet
  • Der Hebel der Weiche 1a (Schutzweiche nach dem Sandgleis) zeigt in der Grundstellung nach unten. Die Weiche steht also normalerweise nach dem Sandgleis
  • Die Signale K und L der Schmalspurbahn können nur geöffnet werden, wenn die Sperrschuhe sbI und sb II auf dem Gleis aufliegen. Auch das Rangiersignal G muss in Stellung "rangieren verboten" sein
  • Bei Ein - und Ausfahrten auf Gleis IV muss die Drehscheibe "Plaque des Ateliers" verriegelt sein
  • Alle Rangiersignale, die Sperrschuhe und die Verriegelung der Drehscheibe werden vom Befehlsstellwerk aus bedient. Die Wärterstellwerke bedienen nur die Weichen. Zusätzlich gibt es noch Zustimmungshebel, die nach Betätigung des Fahrstrassenhebels umgelegt werden müssen
  • Für Geleise I - IV gibt es Belegtfenster. Diese wechseln von weiss auf rot, wenn eine Fahrstrassenkurbel für eine Einfahrt betätigt wurde. Solange das Fenster rot ist, kann keine weitere Einfahrt gestellt werden. Damit es wieder auf weiss wechselt, muss die Kurbel für eine Ausfahrt betätigt werden. Diese Belegtabhängigkeit ist auf mechanischen Stellwerken üblich. Interessant ist, dass eine Ausfahrt nur bei rotem Belegtfenster eingestellt werden kann
  • Für eine Einfahrt von Chexbres nach Gleis 4 muss in Stellwerk II Weiche 41a auf Ablenkung gestellt werden und mit dem Zustimmungshebel 41a verriegelt werden. Gemäss der Beschreibung wurde der Wärter in Stellwerk II vom Befehlwerk telefonisch zur entsprechenden Bedienung aufgefordert. Es ist anzunehmen, dass in der Praxis dem Wärter im Stellwerk II der Fahrplan bekannt war und er die Zustimmung rechtzeitig und ohne Aufforderung erteilt hat

 

Eine Ergänzung zur Stellwerksinstruktion (O.S. = "ordre de service?) aus dem Jahr 1930. Es wurden verschiedene Abhängigkeiten zwischen den Stellwerken nachgebaut, die ich nicht im Detail angeschaut habe.

 

Zwei weitere Punkte:

  • Die Rangiersignale werden nun von den Wärterstellwerken aus bedient: M1 bis M4 von Stellwerk I, M5 und M6 von Stellwerk II. Auch die Drehscheibe "des Ateliers" wird vom Stellwerk I aus bedient
  • Weichen 42/45, welche bisher am gleichen Weichehebel angebunden waren, wurden getrennt und mit einzelnen Hebeln bedient. Der Grund war, dass Weiche 42 bei einer Einfahrt von Clarens in Gleis I in Schutzstellung verbracht werden konnte. Falls ein Manöver in Gleis II zu weit gefahren wäre, hätte es neu einen ausfahrenden Zug aus Gleis III statt einen einfahrenden nach Gleis I gefährdet. Das wurde offenbar als das kleinere Übel angesehen. Weichen, welche in beiden Positionen Schutz bieten, werden heute "Zwieschutzweichen" oder auch "Verzichtweichen" genannt

Beschreibung der Rangiersignale

 

Gleisplan vom 19. September 1947

 

Gegenüber dem Plan von 1914 lassen sich einige Änderungen feststellen:

 

  • Das mechanische Vorsignal Ba wurde ca. 200m Richtung Rivaz verschoben und durch ein Lichtsignal B* ersetzt
  • Alle Semaphore sind nun zweiflüglig
  • Das Klappscheibensignal A wurde ca. 400m näher zur Station verschoben
  • Die Weiche 1a und das Sandgleis sind verschwunden
  • Es wurden zusätzliche Rangiersignale aufgestellt. Neu werden sie mit M1 bis M6 bezeichnet
  • Die Ausfahrsignale E und F heissen neu C I-III und C IV
  • Die einfachen Weichen 27 und 30 wurden durch die doppelte Kreuzungsweiche (DKW) 27 ersetzt. Somit können die Gütergleise direkt von Gleis II aus erreicht werden. Auch direkte Fahrten Clarens - Vevey - Chexbres wären von der Weichengeometrie her möglich. Allerdings könnte nur via das perronlose Gleis II gefahren werden. Auch eine Fahrstrasse Gleis II nach Chexbres gibt es nicht 
  • Anfangs Perron wurde ein mechanisches Ausfahrvorsignal H* aufgestellt
  • Die Drehscheibe "Plaque des Ateliers" wurde durch eine nummernlose Weiche ersetzt. Dafür wurde Weiche 31 aufgehoben. Gleis 9 ist nur noch ein Stumpengleis und die Drehschebe Nestlé nur noch via Gleis 8 an Gleis 5 angeschlossen.  Im Stellwerk 2 gibt es weiterhin einen Wechenhebel 31, so dass anzunehmen ist, dass für die neue Weiche die Nummer 31 weiterverwendet wurde
  • Anschliessend an die Drehscheibe Nestlé wurde ein zusätzliches Gleis Normalspur / Schmalspur erstellt. Dieses ist auch auf der erwähnten Foto in der Zeitschrift "Semaphor" zu sehen 
  • Es gibt eine zusätzliche Fahrstrasse bIV von Rivaz nach Gleis IV
  • Weitere neue Fahrstrassen sind bI von Rivaz auf Gleis I und cIII von Gleis III nach Rivaz. Auf doppelspurigen Strecken sind Fahrstrassen ins Hauptgleis der Gegenrichtung eher selten.  Evtl. wurden Pendelzüge Lausanne - Vevey - Lausanne gefahren, welche dank der neuen Fahrstrassen ohne zusätzliche Manöver auf den Gegenzug wenden konnten
  • Seite Clarens wurde ein zusätzlicher "Semaphore de block" O aufgestellt. Interessanterweise war Seite Rivaz kein zusätzliches Signal für den Block nötig
  • Das mechanische Vorsignal Ja wurde durch das Lichtsignal J* ersetzt. Das neue Vorsignal wurde 170m weiter vom Hauptsignal entfernt aufgestellt. Wegen höheren Geschwindigkeiten mussten vielerorts die Vorsignalabstände erhöht werden

Befehlsstellwerk 1946

 

Wie im Text beschrieben, fehlen die Rangiersignale und die Verriegelung der Drehscheibe. Dafür gibt es einen neuen Hebel für das zusätzliche Signal O. Die Fahrstrassenkurbeln rechts (Seite Rivaz / Chexbres) sind nun alle belegt. Die Hauptstrecke ist nun mit einem Felderblock ausgestattet

 

Wärterstellwerk 1 1946

 

Die verschiedenen Zustimmungshebel gibt es nicht mehr, dafür 4 Hebel für Rangiersignale. Die Fahrstrassenhebel sind voll belegt. Nicht mehr vorhanden ist Weiche 1a (Schutzweiche nach dem Sandgleis).

 

 

Wärterstellwerk 2 1946

 

Ansichtskarte, vermutlich aus den dreissigerJahren. Aufnehmestandort ist die im Plan eingezeichnete Überführung "PS" (pont supérieur). Gut ist die verwinkelte Gleisanlage Normalspur / Schmalspur zu erkennen.

 

Weitere Details:

  • Das Ausfahrsignal H ist geöffnet, Rangiersignal G demzufolge in Stellung "Rangieren verboten"
  • Im Gleis vorne rechts, das zur Drehscheibe führt, gibt es eine Putzgrube. Daneben steht ein Wasserkran, der auf den Stellwerksplänen nicht eingezeichnet ist
  • Das Depot ist teilweise sichtbar. Dahinter war noch ein Dienstgebäude angebaut
  • Im Hintergrund ist ein kräftig rauchender Schlot sichtbar. Auf der anderen Gleisseite stehen die Hallen der ACMV

 

Abendlicher Postzug mit Ae 3/6 I 10712 in Gleis 2. Der Stationstraktor hat soeben die abzuführenden Postwagen beigestellt. Aufnahmedatum 12.06.1992.

Die Ae 3/6 I wurde 1993 ausrangiert, Gleis 2 wurde 1999 abgebrochen.  

 

3 Bilder von der Drehscheibe zum Anschlussgleis La Guingette (Nestlé) vom 18.06.1996 mit dem sehr einzigartigen Rangiertraktor. Der Betrieb wurde 1997 eingestellt und das Ganze 1998 abgebaut, um einen neuen Perron für das Winzerfest 1999 zu bauen.

Auf zwei der Fotos ist auch noch der Triebwagen Be 4/4 1002 der MOB zu erkennen. Erbaut 1951 für die BA (Biasca - Aquarossa), nach deren Einstellung 1973 Verkauf an die MOB. Abbruch 2017.

 

Vevey, 12.02.2014: Auf Gleis 1 steht der Flirt 523 014 der S3 (Villeneuve - Allaman). Der Zwischenraum des früheren Gleis 2 ist gut sichtbar. Foto S. Niklaus

 

Vevey, 12.02.2014: RBDe 560 264 als S31 nach Puidoux-Chexbres. Der Zug steht auf Gleis 5, welches auf den historischen Plänen noch als Gleis 4 bezeichnet war. Auf Gleis 6 (ex 5) steht der Lösch - und Rettungszug auf einer Übungsfahrt. Auch diese Foto ist bereits historisch: Die Gleise heissen nun wieder 4 bzw. 5 und die Züge nach Puidoux-Chexbres verkehren als S7. Foto S. Niklaus