Grossbritannien

 

Grundlage für diesen Artikel ist dieses Buch aus dem Jahr 1982, das ich auf der Schweizer Internetplattform "Ricardo" für ein paar Franken ersteigert habe. Es beschreibt Bahnhöfe der ehemaligen Bahngesellschaft LMS (London, Midland and Scottish Railway).

Ich habe mich bisher nicht gross mit dem englischen Eisenbahnwesen beschäftigt und kann deshalb nur ein wenig Halbwissen vermitteln. Im Internet finden sich viele weiterführende Unterlagen.

 

Vielen Dank an den GB-Spezialisten Thomas Ströhla, von dem viele Informationen und Fotos stammen.

 

Das Eisenbahnwesen in GB unterscheidet  sich in gewissen Bereichen von unseren Gewohnheiten. So gab es lange Zeit keinen graphischen Fahrplan (Bildfahrplan) und keine Zugnummern. Hierzulande sind das absolut unverzichtbare Elemente der Betriebsführung.

Die Züge wurden nach Gattung, Abfahrtszeit und Abgangsbahnhof benannt. Der IC 707, der in Bern 07.31 nach Zürich abfährt, wäre also beispielsweise der "05.32 Genève Aéroport Intercity" oder die S20, die in Oensingen um 07.06 nach Olten abfährt, wäre die "06.21 Biel S-Bahn". Zumindest Zugnummern wurden inzwischen auch in GB eingeführt.

Die Züge werden mit codierten Glockensignalen ("bell codes") von Stellwerk zu Stellwerk vorgemeldet. Dabei werden die Züge nicht einfach geschickt, sondern zuerst angeboten. Zusätzlich wird ein Zugmeldebuch ("train register") geführt.

 

Als Einführung ist im Buch dieser Musterplan enthalten. Zu Demonstrationszwecken wurden viele Besonderheiten eingetragen, die in Wirklichkeit kaum so vorkommen würden. So sind in einer Richtung zwei Hauptsignale vorhanden, in der anderen aber gleich fünf.

 

Was mir sonst noch aufgefallen ist:

  • Die Gleise haben keine Nummern. Die durchgehenden Gleise der Doppelspur werden als "Up" und "Down" bezeichnet. Up ist Richtung London, Down die Gegenrichtung. Die Nebengleise haben Namen wie "Loop" (eigentlich Schlaufe, hier im Sinne von Ausweichgleis), "Yard" (Hof im Sinne von Güterbahnhof) oder "Refuge siding" (Ausweichgleis)
  • Das Stellwerk (in der Mitte bei Weiche 16) hat 30 Hebel ("Levers"). Nrn. 6, 10 und 21 sind Reserve und werden nicht benutzt ("Spares"). Solche Hebel sind weiss gestrichen. Die Hebel sind durchgehend von 1 bis 30 nummeriert. Ist gar kein Hebel vorhanden, heisst es dann "Space" (Zwischenraum)
  • Die Signale und Weichen werden nicht mit aufsteigenden Buchstaben oder Nummern bezeichnet, sondern mit dem Hebel, mit dem sie betätigt werden. Mit Hebel Nr. 1, also jenem ganz links im Stellwerk, wird das Vorsignal "Up Distant" bedient, mit Hebel Nr. 2 das Einfahrsignal "Up Home", mit Hebel Nr. 8 die Weichen aus dem Refuge siding, mit Hebel Nr. 26 das innere Ausfahrsignal "Down Starter" etc.
  • Es sind Rangiersignale vorhanden: Nr. 4 ist ein kleiner Flügel ("shunt ahead arm") am Hauptsignal 3, Nr. 18 ein Scheibensignal ("disc") 
  • Das Rangiersignal 17-20-9 am Perron ("Platform") kann 3 Stellungen anzeigen, von oben nach unten werden die Richtungen von links nach rechts angezeigt. Also oberster Flügel auf Fahrt = nach links Richtung Loop, zweiter Flügel auf Fahrt = Richtung Hauptgleis "down", unterster Flügel = nach rechts Richtung Refuge siding.
  • Mit Hebeln 5 und 22 können "Detonators" plaziert werden. Das sind Knallkapseln, die bei drohender Gefahr aufs Gleis gelegt werden. Beispielsweise wenn ein Zug an Halt zeigenden Signalen vorbeizufahren droht
  • Signal 28 hat wegen der davorliegenden Strassenüberführung ("Overbridge") zwei Flügel, so dass für den Lokführer eines sich nähernden Zuges immer mindestens ein Flügel sichtbar bleibt
  • Ebenfalls bei Signal 28 gibt es einen "Fireman`s Plunger". Diesen Hebel muss der Heizer bei einem Signalhalt betätigen, um den Stellwerker daran zu erinnern, dass sein Zug vor dem Signal steht. Das ist eine billigere Alternative zu einem Gleisstromkreis. 
  • An der Down-Linie gibt es ein Zwischenblocksignal ("Intermediate Block"), gesteuert über Hebel 23 und überwacht mit Gleistromkreisen ("TC / Track Circuit")
  • An der Up-Strecke gibt es wegen der anschliessenden Steigungsstrecke eine Entgleisungsvorrichtung ("Catch Points"). Damit können gegen die Station rollende Wagen zum Entgleisen gebracht werden.

 

An der Ausfahrt "Down" gibt es einen "Ground Frame", das heisst ein lokales Stellwerk, um die örtliche Weiche zu bedienen. Die Hebel können erst nach Freigabe durch das Stellwerk umgelegt werden. Ground Frames werden normalerweise vom Zugpersonal bedient.

 

Bei der Ausfahrt "Up" git es einen Bahnübergang mit einem eigenen Stellwerk. Es umfasst 8 Hebel L1 bis L8

 

Wie in England bei Zwischenstationen auf doppelspurigen Strecken üblich gibt es in den Hauptgleisen keine spitzbefahrenen Weichen. Häufig werden dazu einfache Kreuzungsweichen ("Single Slip") verwendet, während doppelte Kreuzungsweichen ("Double Slip") nur in Nebengleisen vorkommen.

 

Ein typisches englisches Stellwerk. Signalhebel sind rot, Weichenhebel schwarz. Mit den blauen Hebeln werden spitzbefahrene Weichen zusätzlich verriegelt ("Front Point Lock / FPL") . Die weissen Hebel sind Reserve und werden nicht bedient.

Über den Hebeln 2 bis 5 ist ein Tuch zu sehen. Diese nimmt der Stellwerker in die Hand, um Hebel umzustellen. Die blanken Eisen werden nicht mit blossen Händen berührt.

Es gibt weitere Farben. Die Farbgebung ist nicht bei allen Bahngesellschaften gleich.

 

Der Gleisplan des obigen Stellwerks. Die Reservehebel  6, 16, 17 und 25 sind unten im Plan aufgeführt.

Bahnhof Bishops Lydeard an der Museumsbahn "Severn Valley Railway" in Südengland. Fotos Th. Ströhla 

 

Rangiersignal "ground disc"

 

 

 

Rangiersignal (unten) und Hauptsignal (oben) am gleichen Mast

 

 

 

Lokaler Weichenposten "ground frame"

 

 

 

Hauptsignal mit zwei parallelen Flügeln (oben und unten), damit immer ein Flügel für den Lokführer sichtbar ist. Damit der untere Flügel besser erkannt werden kann, ist an der Überführung als Kontrast ein weisses Viereck aufgemalt.

Der gelbe Flügel ist ein Vorsignal (distant signal")

 

 

 

Entgleisungsvorrichtung "Catch point" Fotos Sammlung Th. Ströhla

 

 

Ein markanter Unterschied der englischen Stellwerktechnik gegenüber den hierzulande üblichen Systemen liegt darin, dass es keine Fahrstrassenhebel gibt. Ein gezogener Hebel wird mittels Kaskadenverschluss durch den nachfolgenden verschlossen. Der als letzter bediente Signalhebel verschliesst alle Elemente der bereffenden Fahrstrasse. Um ein Signal auf Fahrt zu stellen, müssen die Hebel in der richtigen Reihenfolge umgestellt und nach erfolgter Zugfahrt in umgekehrter Reihenfolge zurückgestellt werden.

Das gilt auch für Rangierfahrten im Bereich der Hauptgeleise. Diese werden auf die gleiche Weise hergestellt und mit Rangiersignalen verschlossen.

 

Ein Beispiel von den Breitspurbahnen in Victoria / Australien, gefunden in den Tiefen des Internets.  Alle möglichen Fahrstrassen sind unterhalb des Plans aufgeführt. Um beispielsweise einen Zug von Melbourne nach Eaglehawk fahren zu lassen, muss man Hebel 13, 6, 5, 4 und 3 (zwingend in dieser Reihenfolge) umlegen. Für eine Fahrt in der Gegenrichtung, also von Eaglehawk nach Melbourne werden Hebel 16, 19, 24, 25 und 26 betätigt.

 

 

 

Hier noch ein paar wenige Links  zum Thema:

 

Plumpton Green: Stellwerktechnik wird an einer Modellanlage dargestellt (2 Videos) Link  Link

 

Box diagrams LNER: Link

 

Pläne Victoria / Australien, wo ich den Plan "Bendigo" gefunden habe: Link

 

 

Typisch England: Alle Weichen werden stumpf befahren. Und beim Zug handelt es sich um den "09.40 Leicester - Glasgow". Ais Gill signal box 2. Juni 1979. Foto aus dem Buch "On the Settle & Carlisle Route" Sammlung S. Niklaus