Saaneviadukt und Rosshäuserntunnel

 

Die Strecke Bern - Neuchâtel, an der ich aufgewachsen bin, verläuft im Bereich des Grossen Moos durch flaches und offenes Gelände. Richtung Bern gibt es jedoch einen Abschnitt mit mehreren Kunstbauten. Zwischen den Stationen Kerzers und Rosshäusern hat es auf gut 10 km 3 Tunnels und einen grossen Viadukt. 

 

Als Jugendlicher habe ich zusammen mit meinem ältereren Bruder eine Fahrt mit dem Fahrrad zu ein paar markanten Stellen unternommen. Zuerst sind wir zum Oberfeldtunnel (Kerzers - Ferenbalm Länge 300m) und danach zum Faverwaldtunnel (Ferenbalm - Gümmenen Länge 430m) geradelt. Danach sind wir klugerweise auch noch über den Saaneviadukt (Gümmenen - Rosshäusern Länge 393m) gelaufen... Nun, es ist nichts passiert, wir hatten den Fahrplan einigermassen im Kopf und sind heil über den Viadukt (und zurück) gekommen, ohne dass uns ein Zug begegnet ist. Schlau war das sicher nicht, aber damals wurde auch noch weniger Aufhebens um solche Sachen gemacht.

 

Von unsererer Exkursion habe ich eine einzige Foto, die mich am Portal des Faverwaldtunnels Seite Gümmenen zeigt:

Foto Jürg Niklaus(†) , 3. Oktober 1976

 

 

 

Von unserer Wanderung über den Saaneviadukt gibt es keine Foto. Deshalb hier eine auf legalem Weg entstandene Aufnahme.  Sie zeigt den Viadukt noch in der ursprünglichen Form. Kurz darauf wurde mit dem Ausbau auf Doppelspur begonnen. Foto S. Niklaus 31.12.2018

 

 

Zeitungsausschnitt vom Bau des Viadukts und der Strecke. Murtenbieter 26.07.1989 Sammlung S. Niklaus

 

 

Nochmals der Viadukt aus etwas ungewohnter Perspektive. Erste Bauarbeiten haben begonnen, rechts beim Damm und unter der Brücke sind Baumaschinen zu erkennen. Foto S. Niklaus 21. März 2019

 

 

En weiterer Zeitungsartikel vom 17. Juni 2019. Berner Oberländer Sammlung S. Niklaus

 

 

Der alte Rosshäuserntunnel (Gümmenen - Rosshäusern 1103m) war zu Betriebszeiten auf legalem Weg nicht zu fotografieren. Beide Portale liegen in engen Kurven und in tiefen und bewachsenen Einschnitten. 

Deshalb habe ich die Gelgenheit genutzt, nach Eröffnung des neuen Tunnels über die alte Trasse zum Tunnelportal zu gelangen:

Neuer Tunnel Seite Gümmenen

 

 

Alte Trasse, noch mit Schotter. Dieser wurde etwas später entfernt. Rechts die Baupiste, die als Zugang zur Baustelle des neuen Tunnels diente.

 

 

Etwas weiter oben. Die Trasse steigt hier mit 18

 

 

Wegüberführung beim Weiler Schnurrenmühle

 

 

Von dieser Stelle gibt es eine schöne Aufnahme im Bildband "Schweizer Bahnen" von Georg Wagner, Weltbildverlag 1990. Sammlung S. Niklaus

 

 

Blick zurück zur Wegüberführung

 

 

Kurz vor dem Tunnelportal

 

 

Das Portal kommt in Sicht

 

 

Tunnelportal, vergittert und mit Bauwagen

 

 

Weiter bin ich nicht gegangen.  Die Kurve läuft noch in den Tunnel hinein, ohne Lampe wäre man sofort in völliger Dunkelheit. Der Tunnel ist wirklich ein finsteres Loch.

 

 

Anschliessend bin ich über den Berg auf die andere Seite gewandert. Blick von oberhalb des neuen Portal in den  Einschnitt zum alten Tunnel.

 

 

RX Bern - La Chaux-de-Fonds mit Komposition BLS EW IV ex SBB. Im Hintergrund bei den Silos befindet sich  die Station Rosshäusern.

 

 

Blick zum neuen Tunnel. Die Umgebungsarbeiten sind noch nicht ganz fertiggestellt. Alle Fotos S. Niklaus 31.12.2018

 

 

 

Noch ein letzter Zeitungsartikel. Der Schotter wurde entfernt, auf der alten Trasse verläuft nun der Bach. Freiburger Nachrichten 8. August 2019 Sammlung S. Niklaus

 

Auf YouTube gibt es diverse Videos von Führerstandsfahrten Bern - Neuchâtel und umgekehrt auf der neuen Trasse.  Ein weitblickender Lokführer hat zum Glück auch eine Fahrt auf der alten Trasse kurz vor der Ausserbetriebsetzung festgehalten. Diese Filme sind etwas versteckt, deshalb hier der Link:

 

Fahrt durch den alten Tunnel Ost - West YouTube Link

Fahrt durch den alten Tunnel West - Ost YouTube: Link

 

Zum zweiten Video (West - Ost) noch zwei Details:

Bei 1:46 ist das Leintuch zu erkennen, mit dem die Bewohner des Weilers Schnurrenmühle die Züge verabschiedet haben. Die Überführung ist zudem mit bunten Luftballons geschmückt. Die Züge haben hier zwar nie gehalten, gehörten aber während 117 Jahren zum täglichen Leben. Ohne die Eisenbahn ist es in dieser ruhigen Gegend noch stiller geworden.

Deshalb an dieser Stelle auch von mir herzlichen Dank für die guten Wünsche und die sehr sympathische Geste. Ich bin selber als Passagier ein paar hundert Mal durch den alten und neuen Tunnel gefahren...

 

 

Bei 1:46, 2:08 und 2:59 lassen sich im Video Neigungszeiger erkennen. Damit wird dem Lokführer die Steigung oder das Gefälle des folgenden Streckenabschnitts angezeigt.

Die Inschriften sind schlecht lesbar, deshalb hier die Erklärung. Die Strecke steigt ab Gümmenen bis zum Tunnel mit 18‰, vor dem Tunnel reduziert sich die Steigung auf 16 (Bild links). Auf dem etwa 600m langen Teilstück vom Tunnelausgang bis in die Station Rosshäusern beträgt die Steigung wieder 18 (Bild Mitte). Bei 2:59 beginnt schliesslich die Stationshorizontale von Rosshäusern (Bild rechts). 

 

Wieso wurde die Strecke so gebaut? Beim Bau der Strecke herrschte noch Dampftraktion, elektrischer Betrieb war noch kein Thema. Ungeplante Halte wegen Dampfmangel, schlechter Kohle, unerfahrenem Heizer etc. gehörten damals zum Eisenbahnbetrieb. Man wollte deshalb unbedingt vermeiden, dass ein Zug im Tunnel zum Stehen kommt. Die enge Tunnelröhre hätte sich in kurzer Zeit mit Dampf gefüllt und Personal und Reisende gefährdet. Deshalb wurde die Steigung im Tunnel gegenüber der offenen Strecke leicht reduziert. In Kurven ist der Reibungswiderstand erhöht, deshalb ist die Gefahr des Steckenbleibens  besonders gross. Auch andere Tunnels sind so gebaut, beispielsweise die Kehrtunnels an der alten Gotthardstrecke.

 

Neigungszeiger im Signalreglement:

Bild 96: Die Strecke steigt auf den nächsten 1250m mit 10

Bild 97: Die Strecke verläuft auf den nächsten 1000m horizontal

Bild 98: Die Strecke fällt auf den nächsten 345m mit 20

Ausschnitt Signalreglement 1982 Sammlung S. Niklaus

 

 

Im Rosshäuserntunnel kam es in den 1940er Jahren (je nach Quelle 1943 oder 1948) zu einer Kollison zweier Züge, weil einer der Züge in Rosshäusern zu früh abgefertigt wurde. Die erfahrenen Lokführer bemerkten bei der Tunneleinfahrt am ungewöhnlichen Luftdruck in den Ohren, dass etwas nicht stimmte und bremsten ab. So blieb es bei Leichtverletzten und Sachschaden. 

 

Diese Angaben stammen aus den Büchern "Bern-Neuenburg-Bahn" von Florian Inäbnit / Jürg Aeschlimann, Prellbockverlag 2001 sowie aus "SEZ-GBS-BN" von Patrick Belloncle, Editions du Cabri 1989.

 

Ich kann mich erinnern, dass mir vor langer Zeit ein alter Vorstand eine andere Version erzählt hat. Gemäss seinen Angaben hat das Stationspersonal in Rosshäusern und Gümmenen die Fahrleitung ausgeschaltet, als sie die vorzeitige Abfahrt bemerkten. Die Kollision hat gemäss dieser mündlichen Überlieferung auf freier Strecke unmittelbar beim unteren Tunnelausgang stattgefunden.  

 

Beim Forschen für diesen Artikel bin ich schliesslich noch auf eine weitere Story gestossen: Vom Tunnelportal Seite Rosshäusern wurde 1995 ein Anschlag auf einen TGV durchgeführt. Ich kann mich erinnern, dass im Bahnhof Bern ein abgestellter TGV beschädigt wurde, aber diese Geschichte hatte ich nicht mehr in Erinnerung. So hat es der Rosshäuserntunnel sogar in die Hauptausgabe der Tagesschau geschafft: Link

 

 

Spiez, 12.09.2024 / Stefan Niklaus

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