Eines Tages auf der Aufsicht in Spiez

 

In Spiez gab es wie andernorts eine Perronaufsicht. Sie wurde vor allem durch jüngere Betriebsdisponenten und Fahrdienstleiter besetzt, während die älteren Beamten vornehmlich das Stellwerk bedienten. Gerade im Winter war der Dienst draussen nicht immer angenehm.

Hauptaufgabe war die Kundeninformation und das Ansagen der Züge via Lautsprecher. In der alten Anlage mit dem Domino 55 aus dem Jahr 1959 hat die Aufsicht auch die Züge abgefertigt. Nach Inbetriebnahme des neuen Domino 67 wurden die Abfahrbefehle durch das Zugspersonal erteilt. Zudem mussten die Lautsprechertexte nicht mehr abgelesen werden, sondern es konnten vorbereitete Ansagen via Funk ausgelöst werden.

 

Am 29. September 2002 hat mich meine Frau bei meinem letzten Dienst in der Aufsicht fotografiert. Ein paar Tage später habe ich eine neue Stelle als Disponent bei BLS-Cargo begonnen. 

 

Ein paar Wochen vorher ist mir noch folgendes passiert: Mir wurde ein auf einem Sitzbank liegengebliebener Fotoapparat abgegeben. In solchen Fällen habe ich jeweils noch etwas gewartet, bis ich die Sachen aufs Fundbüro gebracht habe. Tatsächlich ist etwas später ein Tourist auf der Suche nach dem Apparat erschienen. Er war sehr dankbar über den gefundenen Apparat und hat sich überschwenglich bedankt. In seiner Heimat sei so etwas undenkbar. Was verloren werde, sehe man nie wieder. Er ist dann mit dem Zug weggefahren, aber später nochmals zurückgekehrt und hat sich nochmals bedankt. Der Kollege vom Rangierdienst machte schliesslich noch eine Erinnerungsfoto von uns beiden. Bevor er endgültig abgereist ist, hat er mir einen Adresszettel gegeben und gesagt, wenn ich mal in der Nähe sei, solle ich doch unbedingt auf einen Kaffee vorbeischauen:

Klar, Shanghai liegt ja gleich um die Ecke, da gehe ich etwa 3x pro Woche hin...

 

Die Aufsicht in Spiez wurde wie andernorts auch ein paar Jahre später abgeschafft. Zumindest in Bern wurde sie in der Zwischenzeit wieder eingeführt. Anstelle von Stationspersonal wird sie nun durch Zugpersonal abgedeckt.

 

Den Kaffee in Shanghai habe ich bis heute nicht eingelöst, aber den Zettel immerhin aufbewahrt. 2002 waren Natel und E-Mail Adresse noch keine Selbstverständlichkeit. Herr Li Qiang war auf dem neusten Stand.